
Der CO₂-neutrale Emaille-Klassiker

Geschichte liegt in der Luft, wenn man durch das Mostviertel fährt und in Ybbsitz (Bezirk Amstetten) vor dem Werk von Riess Kelomat stehen bleibt. Von außen beeindruckt es wenig: Mittelgroße hellgelbe Hallen, die sich vor einem bewaldeten Hügel erstrecken. Aber drinnen? Da schieben Mitarbeiter Eisen durch schwere, beinahe hundert Jahre alte Maschinen, damit es geformt wird. Da stehen große Brennöfen, in denen Hitze bis zu 1.000 Grad Celsius erzeugt wird. Und da sitzen Mitarbeiterinnen an großen Tischen, die mit Fingerspitzengefühl Blumenmuster auf kleine Kannen anbringen, während andere vorsichtig Häferl zum Trocknen aufhängen.
Jeder Blick in die unterschiedlichsten Ecken der Produktionshalle weckt Erinnerungen an die Mittagessen bei den Großeltern. An die bunten Töpfe, Kannen und Pfannen aus Emaille in allen möglichen Formen und Farben, in denen sämtliche Lieblingsspeisen zubereitet wurden. Mittlerweile steht der größte Teil des „Oma-Geschirrs“ oft in der eigenen Küche. Diese Aussage ringt Geschäftsführer Friedrich Riess ein mildes Lächeln ab. „Eigentlich höre ich solche Erzählungen nicht so gerne“, begründet er. Es sei schlecht fürs Geschäft, wenn sein Geschirr über Generationen hinweg weitergegeben werde. Aber andererseits: „Nachhaltigkeit hat bei uns Tradition“, so Riess. Also überwiegt die Freude dann doch.
Vom Rohblech zum Kochtopf
In mittlerweile neunter Generation – seit 1550 – stellt die Familie Riess handgefertigtes Emaillegeschirr aus Österreich her. Mit der Kraft der beiden Flüsse Kleine und Große Ybbs werden Eisen und Glas in einem Ofen bei 830 Grad Celsius zu Emaille verschmolzen. Im Anschluss werden diese in die gewünschte Farbe getaucht, getrocknet und erneut im Ofen miteinander verbunden. Bis zu 50 Arbeitsschritte braucht es, bis ein Artikel fertig ist. Von automatischer Serienproduktion keine Spur. Das Traditionsunternehmen setzt auf Handwerk – und auf seine Mitarbeiter. „Ohne diese Flexibilität wäre es nicht möglich, unsere vielen unterschiedlichen Artikel am Tag herzustellen“, erklärt der Geschäftsführer. 650 Produkte ist das Sortiment von Riess Kelomat groß. Wenn gewünscht, werden die Stücke sogar einzeln verschickt. „Wir haben mit der stückweisen Auslieferung unserer Produkte nach Deutschland und Österreich begonnen, da war Amazon noch ein Buchhändler“, sagt Riess stolz.
Großvaters Credo statt modernem Business-Plan
Damit endet auch schon wieder der Vergleich. Seit 1980 bekommt Riess immer wieder zu hören, dass das Unternehmen so, wie es arbeite, nicht überleben könne. Er müsse nach Gewinnorientierung agieren und nicht nach ökologischen Gesichtspunkten. Doch der Mostviertler hält sich da lieber an die Credos seines Großvaters: Die Natur in einem besseren Zustand der nächsten Generation zu übergeben, und dass die Vermittlung von Wissen wertvoller ist als die Weitergabe von Vermögen oder Besitz.
Wasserkraftwerke: Aus eins mach‘ vier
Überhaupt zieht sich der Geist der Riess-Vorfahren bis heute in dem Ybbsitzer Unternehmen durch. 1926 baute der Großvater das erste Wasserkraftwerk, weil er erkannte, dass Steinkohle als fossile Rohstoffquelle, die er vom nahegelegenen Berg bezog, enden wollend ist. „Ausgelacht haben sie uns, als wir mit dem ersten Kraftwerk in Betrieb gegangen sind“, erzählt Riess. Doch aufgrund des großen Erfolges wurden aus dem einen schlussendlich vier eigene Wasserkraftwerke, die CO₂-neutral sauberen Strom für den Betrieb der Maschinen erzeugen. „Wir produzieren mehr Strom, als wir selbst brauchen, und speisen ihn als grünen Strom in die Netze“, erklärt der Mostviertler. In Summe sind es knapp zwei Drittel der Stromerzeugung, die ins öffentliche Netz übertragen werden. Rund 2.000 Haushalte können damit jährlich versorgt und 4.200 Tonnen CO₂ eingespart werden. Selbst für die Fische fand der Großvater beim Bau des Kraftwerks eine Lösung: Da aufgrund des Damms die Forellen nicht zu ihren Laichplätzen konnten, baute er für sie eine Fischtreppe. „Obwohl es damals noch keine Richtlinien, Vorgaben oder EU-Vorschriften gab. Er hat das aus freien Stücken getan. Weil es ihm wichtig war“, betont Riess.
In diesem Bestreben geht es im Traditionsunternehmen weiter: mit einem ausgeklügelten System zur Rückgewinnung der Abwärme. Mit der Sanierung des kleinen Kraftwerks im Firmengebäude, zwei neuen Trafostationen und die Verlegung der Kabel in die Erde, um Leitungsverluste zu reduzieren. Mit dem sorgsamen Umgang mit den 135 Mitarbeitern. Und natürlich mit dem Produkt selbst.
Warum der Braten wirklich anbrennt
„Viele glauben, unser Geschirr ist alt“, kommt Riess noch einmal auf die Erzählung von den Mittagessen bei den Großeltern zurück. Dabei sei es eines der modernsten Geschirre: CO₂-neutral. Handgefertigt in Österreich. Schnitt- und Kratzfest. Und: Seit 1922 für alle Herdarten verwendbar – so auch für Induktion. Und es ist energiesparend: „Wenn Leute zu mir sagen, dass mit meinem Geschirr alles anbrennt, kann ich nur antworten: Anwenderfehler“. Denn durch die gute Wärmeleitung und -speicherung benötigt das Kochgeschirr nun mal weniger Energie zum Kochen, als andere Küchenhelfer. Und holt sich – quasi als Special Effekt obendrauf – mit dem „Oma-Geschirr“ ein Stück österreichische Geschichte in die Küche.
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Dieser Beitrag wurde von der freien Journalistin Carina Rambauske verfasst, die im Auftrag von ecoplus mit Unternehmen und Unternehmerinnen in Niederösterreich – die sich im Bereich Nachhaltigkeit engagieren – gesprochen hat. Diese Best Practice Beispiele der NÖ Wirtschaft wurden besucht, interviewt und vor Ort Kurzvideos gedreht. Die Ansichten dieses Beitrages müssen nicht der Meinung von ecoplus entsprechen.