
„Der EU-Beitritt war ein Katalysator“

17. Juli 1989: Österreich übergibt in Form des „Brief nach Brüssel“ sein EU-Beitrittsansuchen an den Vorsitzenden des Außenministerrates der Europäischen Gemeinschaft (EG). Ein Tag, in den viele Menschen hohe Erwartungen steckten. 1.000 Schilling, also 73 Euro, mehr in der Geldbörse jeden Österreichers und jeder Österreicherin – so lautete das Versprechen vor 25 Jahren.
Mit dem „Brief nach Brüssel“ läutet Österreich vor drei Jahrzehnten seinen Eintritt in die EU ein. Es vergehen weitere sechs Jahre, bevor es am 1. Jänner 1995 amtlich ist: Österreich ist, neben Schweden und Finnland, nun Teil der der Europäischen Union (damals Europäische Gemeinschaft, EG). Die Anzahl der EU-Mitgliedsländer wächst damit von 12 auf 15.
Mit Blick auf diesen Eintritt wurde sieben Jahre zuvor, 1988, die Agrana gegründet. Unter dieser Dachgesellschaft fusionierten die österreichische Zucker- und Stärkeindustrie mit den drei Zuckerfabriken in Hohenau, Leopoldsdorf und Tulln, die Kartoffelstärkefabrik in Gmünd und die Maisstärkefabrik in Aschach. Eine nationale Einigung, die „ohne die Vision eines EU-Beitritts nicht so schnell stattgefunden hätte“, sagt Vorstandsvorsitzender Johann Marihart.
Die Nähe zu Osteuropa als Vorteil genutzt
Schon vor dem Beitritt galten 80 Prozent der damaligen EG- bzw. EU-Regelungen für Österreich. Das Land hatte jedoch keine Mitentscheidungsrechte – dafür Grenzen, die den Handel einschränkten. Während die Grenze zum Beispiel für landwirtschaftliche Produkte undurchlässig war, konnte die Papierindustrie die EU beliefern und die dafür benötigten Rohstoffe auch zollfrei importieren. Eine Diskrepanz, durch die die Agrana als Stärkefabrik einbüßen musste: „Wir durften nur die Stärke liefern, die für Inlandspapier oder Inlandsnahrungsmittel gebraucht wurde. Für den Export durfte man veredeln, wie man so schön sagt. Das war nicht gerade ein Wachstumsmotor, insofern waren wir schon damals sehr interessiert daran, dass dieser Brief geschrieben wurde“, erzählt Marihart.
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem EU-Beitritt kehrte sich auch der geografische Nachteil Österreichs um: Die Abgeschiedenheit des Landes – begrenzt durch den Eisernen Vorhang und der EG-Grenze – wandelte sich in eine große Kontaktfläche um. Die Nähe zu Osteuropa wurde zum Vorteil: Die Zölle fielen, die Exporte stiegen, Importe wurden billiger und Österreich schaffte es, von der EU-Mitgliedschaft stark zu profitieren. „Der EU-Beitritt war ein Katalysator“, führt Marihart am Beispiel der gesamten Nahrungs- und Lebensmittelindustrie an: 1995 belief sich der Umsatz auf 4 Milliarden Schilling und der Export-Anteil auf 15 Prozent. Heute sind es 9 Milliarden Euro und ein Exportanteil von zwei Drittel. „Das ist EU. Die Leute lieben Produkte aus Österreich, deshalb sind auch die Exporterfolge so groß. Das gesamte Wachstum, das passiert ist, ist fast ausschließlich Export-Wachstum und dabei fast zu 90 Prozent innerhalb der EU“, schildert der Vorstandsvorsitzende.
„Wachsen oder weichen“
Parallel dazu wuchs die Agrana mit. 1988 gab es keine einzige Produktion außerhalb von Österreich. Heute sind es weltweit 57 Standorte mit 9.500 Mitarbeitern, die in den drei Bereichen Frucht, Stärke und Zucker beschäftigt sind. Gemeinsam veredeln sie landwirtschaftliche Rohstoffe zu industriellen Produkten für die weiterverarbeitende Industrie. Heute ist jedes zweite Fruchtjoghurt mit der Fruchtzubereitung von Agrana hergestellt.
Dass es soweit kommen würde, stand vor knapp drei Jahrzehnten jedoch auf einem anderen Papier: „1995 hatten wir Kapazitäten für den österreichischen Markt – für den Inlandsbedarf, nicht für den Export, was uns damals vor sehr große Herausforderungen gestellt hat“, so Marihart. „Wir mussten wachsen oder weichen“. Man entschied sich fürs Wachsen, da man ansonsten nicht wettbewerbs- bzw. lieferfähig gewesen wäre. „Wir mussten investieren, was ein Risiko war, aber wir wussten, wie es geht. Unsere Wettbewerbsposition bestritten wir mit unseren Köpfen, nicht durch unsere Größe.“
Daraufhin wuchs der Konzern stetig: Das erste Jahrzehnt bis 2000 war die Zeit der Ost-Akquisitionen. Das zweite Jahrzehnt stand im Zeichen der Diversifikation in der Frucht. Im laufenden, dritten Jahrzehnt wird die Globalisierung des Konzerns vorangetrieben. „Wir wollen insbesondere mit Spezialitäten in den Weltmarkt gehen und im Fruchtbereich die Weltmarktposition ausbauen“, beschreibt Marihart ein zukünftiges Ziel. Der Weg aus der EU sei für ihn „undenkbar“. „Die EU-Region ist für mich ein ganz wesentlicher Treiber für die Entwicklung der Agrana, aber auch generell für die österreichische Wirtschaft“, ist der Vorstandsvorsitzende überzeugt. Deshalb sei der besagte „Brief von Brüssel“ vor über 25 Jahren von Wirtschaftstreibenden auch so forciert worden.
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Dieser Beitrag wurde von der freien Journalistin Carina Rambauske verfasst, die im Auftrag von ecoplus mit Unternehmen und Unternehmerinnen in Niederösterreich gesprochen hat. Unter dem Leitsatz „Regional stark und international vernetzt“ werden Unternehmen aus Niederösterreich exemplarisch vor den Vorhang gebeten, um ein Resümee der Erfahrungen und Entwicklungen der vergangenen Jahre zu ziehen. Die Ansichten dieses Beitrages müssen nicht der Meinung von ecoplus entsprechen.