Interview mit Martina Helmlinger von AGES
Die Veranstaltung
2 Tage Nachhaltigkeit, CSR und viele spannende Gespräche, welche neue Inputs und Sichtweisen zu einem sehr umfassenden Thema brachten. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass eine Exkursion mit 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu fünf spannenden Betrieben in die Steiermark viele neue Eindrücke und Ideen für die Zukunft hervorgebracht hat. Alle Informationen finden Sie gesammelt in der Nachlese.
Das Unternehmen
Lessons learned im Gespräch mit Martina Helmlinger – AGES
Liebe Frau Helmlinger, es freut uns sehr, dass Sie bei der Exkursion in die Steiermark mit dabei waren. Welche Eindrücke haben Sie in den beiden Tagen sammeln können?
A: Vielen Dank für die Möglichkeit, an dieser eindrucksreichen Exkursion teil zu nehmen und Einblicke in verschiedene Betriebe und deren Ansätze für mehr Nachhaltigkeit zu gewinnen. Jedes der besuchten Unternehmen hat sich klar damit auseinandergesetzt, Ansatzpunkte für mehr Nachhaltigkeit zu identifizieren und an diesen Stellen zu agieren – etwa bei der effizienteren Energieversorgung, der ressourcenschonenden Prozessgestaltung, der Anpassung von Infrastrukturen und sozial und ökologisch besser verträglichen Lieferketten. Bei den Führungen wurden durchwegs auch die wirtschaftlichen Vorteile von mehr Nachhaltigkeit genannt.
Auch die Vorstellung der Arbeit der FH Joanneum in Graz zum Thema nachhaltige Lebensmittelsysteme war aufschlussreich, insbesondere Projekte wie das Smart Food Grid Graz zu einem nachhaltigen lokalen Lebensmittelsystem waren inspirierend.
Besonders gefreut hat mich, dass so viele Interessent:innen aus unterschiedlichen Bereichen des Lebensmittelsystems an der Exkursion teilgenommen haben und reges Interesse am Austausch zu den besten Praktiken besteht – sei es zwischen größeren Unternehmen, KMUs, Einzelpersonen oder Forschungsinstituten. Gerade dieser Austausch zwischen verschiedenen Stakeholder:innen wird auch bei uns in der AGES-Servicestelle für nachhaltige Lebensmittel- und Ernährungssysteme eine zentrale Rolle einnehmen – denn nur gemeinsam und systemisch können Herausforderungen tatsächlich identifiziert, priorisiert und angegangen werden.
Die Servicestelle für nachhaltige Lebensmittel- und Ernährungssysteme wurde neu gegründet und ist bei der AGES angesiedelt. Würden Sie uns bitte die wichtigsten Aufgaben und Ziele kurz zusammenfassen?
A: Die neue Servicestelle für nachhaltige Lebensmittel- und Ernährungssysteme (im Folgenden „Servicestelle“) wurde Anfang 2023 von drei Bundesministerien ins Leben gerufen: Den zwei Eigentümerministerien der AGES, also dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft (BML) und dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), sowie dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK). Die Servicestelle agiert dabei im Kontext der Transformationsstrategie der EU-Kommission namens „Vom Hof auf den Tisch“ („Farm to Fork“-Strategie). Diese wurde 2020 vorgestellt, um den enormen Herausforderungen, vor denen unser Lebensmittelsystem steht, mit legislativen und nicht-legislativen Maßnahmen zu begegnen. Diese zielen auf die drei in direkter Wechselwirkung stehenden Dimensionen der Nachhaltigkeit ab – die ökologische, die soziale und die ökonomische. Maßnahmen betreffen beispielsweise eine harmonisierte verpflichtende Nährwertkennzeichnung auf der Packungsvorderseite, Pestizidreduktionsziele, die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik oder die Überarbeitung der Vorschriften zur Datumsangabe bei Verbrauchs- und Mindesthaltbarkeitsdaten.
Im fachlichen Fokus der Servicestelle liegt aber eine horizontale Maßnahme unter der „Farm to Fork“-Strategie: der noch im Jahr 2023 zu erwartende Vorschlag der Europäischen Kommission zu einem neuen Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme („Framework for Sustainable Food Systems“). Diese neue Rahmengesetzgebung soll erstmalig wichtige Definitionen, Prinzipien und Ziele rund um die Nachhaltigkeit von Lebensmitteln und –systemen rechtlich festmachen. Etwa werden Grundsätze zu Mindestkriterien für die nachhaltige öffentliche Beschaffung, ein Rahmen zur Nachhaltigkeitsinformation bezüglich Lebensmitteln, sowie andere steuernde Elemente darin umfasst sein.
Da diese Blöcke ein breites Themenspektrum abdecken, sind die Beteiligung und Koordination zahlreicher Akteure unabdinglich. Daraus ist die Kernaufgabe der Servicestelle entstanden: Wir unterstützen die drei Ministerien in der Vorbereitung und in weiterer Folge in der Umsetzung des Rechtsrahmens in Österreich, um die Transformation hin zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem zu fördern. Um eine gute Grundlage für potenzielle Maßnahmen zu bilden, werden wir mittels einer Lebensmittelsystemanalyse den Status quo zu bestimmten Indikatoren in Österreich erheben, und zukünftige Möglichkeiten der Steuerung, Messung, Kommunikation und Kontrolle der Nachhaltigkeit von Lebensmittelprodukten und -prozessen identifizieren. Stakeholderworkshops und eine Analyse der derzeitigen regulatorischen Anforderungen werden ein integraler Bestandteil unserer Arbeit sein.
Innerhalb der Servicestelle sind wir derzeit ein Team von drei Fachexpert:innen – ich darf mit meinen Kollegen Julian Kunz und Katharina Fister gemeinsam an den genannten Aufgabenstellungen arbeiten und ein breites Expert:innennetzwerk innerhalb der AGES und darüber hinaus aufbauen.
Welche Schwerpunkte sehen Sie im Hinblick auf die Integration von Nachhaltigkeitsagenden auf österreichische Unternehmen, mit dem Fokus auf KMU, zukommen?
A: Ein großes Schwerpunktthema stellen natürlich die Anforderungen dar, die sich aus den Blöcken des schon erwähnten neuen Rechtsrahmens für nachhaltige Lebensmittelsysteme ergeben, und auch andere legislative und nicht-legislative Initiativen unter der „Farm-to-Fork“-Strategie werden relevant sein.
Daneben müssen sich Unternehmen auch auf einige sektorübergreifende neue gesetzliche Anforderungen vorbereiten. Hier ist zum Beispiel die Corporate Sustainability Reporting Directive zu nennen, welche verbindliche Berichtspflichten für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung („Environmantal, Social, Governance“, ESG) umfasst, um ein harmonisiertes, umfassendes Bild über die Nachhaltigkeitsleistung angesprochener Unternehmen zu liefern. Dazu werden insbesondere auch KMUs ermutigt, ihre Treibhausgasemissionen zu messen und zu reduzieren. Dies kann die Umstellung auf erneuerbare Energien, Energieeffizienzmaßnahmen und teils die Kompensation von Emissionen umfassen. Auch das Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence-Richtlinie) muss mitgedacht werden, wo zwar KMUs nicht direkt in den Anwendungsbereich fallen, sehr wohl aber durch bestehende Verbindungen mit größeren Unternehmen betroffen sein werden, die darunter fallen.
Das Konzept der Kreislaufwirtschaft gewinnt außerdem an Bedeutung, wobei Unternehmen Strategien entwickeln, um Abfälle zu minimieren, Ressourcen zu schonen und die Nutzung von Recycling und Wiederverwendung zu fördern. Die Zusammenarbeit mit Partnern entlang der Wertschöpfungskette sowie der gute Austausch zu Best Practices können dabei helfen. Auch Initiativen für mehr Transparenz in Lieferketten oder branchenspezifische Standards sind zu nennen.
Förderprogramme und finanzielle Anreize, um Unternehmen bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu unterstützen, sind dabei vermehrt vorhanden und sollten gerade auch von KMUs genutzt werden, um eine Umstellung hin zu nachhaltigeren Praktiken zu ermöglichen.
Wichtig dabei ist der Austausch mit Akteuren innerhalb des Sektors, als auch mit solchen im weiteren Umfeld. Auch Verbände oder Vereine können dabei helfen, die jeweils relevanten und zu beachtenden Vorgaben aufzuzeigen und eine Plattform für den Austausch zu Best Practices bieten.
Welche Trends lassen sich auf internationaler Ebene abbilden und wie wird sich das Thema der Nachhaltigkeit weiterentwickeln, um erfolgreich in Unternehmen gelebt werden zu können?
A: Auch international wird immer klarer, dass Nachhaltigkeit von einer systemischen Perspektive aus betrachtet werden muss und alle Akteure des Lebensmittelsystems ihren Beitrag leisten werden müssen. Lösungsansätze können dabei nicht von Einzelakteuren gedacht, sondern müssen immer im System behandelt werden. Das wird mit den angesprochenen Definitionen und Mindestkriterien unter dem neuen Rechtsrahmen noch deutlicher werden und auch vom Gesetzgeber mehr und mehr gefordert werden. Auch auf globaler Ebene wird ein Fokus auf systemisches Denken immer klarer – nicht zuletzt durch den ersten United Nations Food Systems Summit 2021, bei dem die Notwendigkeit einer nachhaltigen Transformation der globalen Lebensmittelsysteme und konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Hunger, Armut, Ungleichheit und Umweltzerstörung diskutiert wurden.
Gerade wegen der klaren Aufgabe, intersektorielle und transdisziplinäre Zusammenarbeit und Austausch zu nutzen, war es schön zu sehen, dass die von uns besuchten Betriebe Ansätze im mehrdimensionalen Sinne der Nachhaltigkeit erarbeitet haben. Jedoch muss auch klar sein, dass wir hier am Beginn einer enormen Herausforderung stehen und die nächsten Jahre richtungsweisend werden, um praktikable Ziele und auch Möglichkeiten für mehr Nachhaltigkeit in der Lebensmittelwertschöpfungskette auszuarbeiten und auch um Austauschplattformen für das bessere Teilen von Best Practices zu bieten.
Oft ist die Herangehensweise an ein so vielfältiges und komplexes Thema schwierig. Haben Sie hier Tipps für KMU, wie diese die erste Hürde erfolgreich meistern und in das Nachhaltigkeitsmanagement einsteigen?
A: Das Thema ist in der Tat extrem komplex und vielfältig, und oft sprechen unterschiedliche Maßnahmen verschiedene Dimensionen der Nachhaltigkeit an. Nicht selten stehen dabei die Lösungsansätze aus Sicht der drei Nachhaltigkeitsdimensionen im Zielkonflikt – denn was ökologisch nachhaltiger ist, ist nicht zwingend sozial nachhaltiger oder für den Betrieb ökonomisch haltbar. Hier liegt der Handlungsbedarf in der Politik, diese Zielkonflikte abzubauen und die richtigen Rahmenbedingungen bereitzustellen. Eine Möglichkeit, sich dem Thema anzunähern, ist daher die Erhebung der Handlungsmöglichkeiten und Angriffspunkte, die eine möglichst große Hebelwirkung für die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit haben, aber auch praktisch umsetzbar sind. Solche Hebelpunkte können von Branche zu Branche und von Unternehmen zu Unternehmen stark variieren, hier helfen der Austausch mit anderen Unternehmen und die Recherche zu bestehenden Guidelines oder Standards. Dann empfiehlt es sich, darauf aufbauend eine Nachhaltigkeitsstrategie – die idealerweise fest im Unternehmenskonzept verankert ist - zu entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Ziele des jeweiligen Unternehmens zugeschnitten ist. Wichtig ist auch, dass sich Unternehmen zu ihren konkreten Zielen auch messbare Indikatoren überlegen – denn nur so können Erfolge und Errungenschaften gut nachvollzogen und auch kommuniziert werden, und die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit gelingen.