
Mode ohne Gift: Wenn die Chemie stimmt

Flüsse, die blau, grün und schaumig sind: Wer im Frühjahr auf die Gewässer in Ländern wie China, Indien oder Bangladesch blickt, weiß, welche Farbe in der nächsten Saison in Mode ist. Das Färben von Stoffen ist einer der umweltschädlichsten Prozesse in der Textilherstellung: Die aggressiven Bleichmittel verseuchen die Grundwasser, die Gesundheit der Textilarbeiter leidet unter den Herstellungsverfahren.
Umweltfreundliche Lösungen für die vier Milliarden Jeans, die unter diesen Aspekten jährlich hergestellt werden, werden weltweit gesucht – auch hier in Niederösterreich. Im Technologie- und Forschungszentrum Tulln am Technopol steht in zwei kleinen Räumen der Chemiker Christian Schimper. Neben einem Regal, in dem sich Jeans übereinanderstapeln zwischen einer Waage, Reagenzgläsern und einer umfunktionierten Waschmaschine tüftelt er an Lösungen, um Jeans umweltfreundlich zu bleichen. Und das mit Erfolg: Seit 2015 ersetzt sein Unternehmen Acticell das lebensgefährliche Sandstrahlen und das umweltschädliche Kaliumpermanganat in der Jeansbleiche. Dafür gabs 2017 den ersten Platz beim GEWINN-Jungunternehmerwettbewerb in der Kategorie Umwelt.
Gift-Ersatz im Färbungsprozess
„Acticell steht für die Aktivierung von Cellulose“, erklärt der Forscher. Bedeutet: Anstatt den Stoff zu bleichen, wird der blaue Farbstoff aus dem Stoff gelöst. Schimpers entwickeltes Produkt wird auf den Jeansstoff gesprüht, damit die Enzyme die gewünschten Stellen angreifen. Dadurch wird die Farbe in diesen Bereichen beim anschließenden Trockenvorgang herausgelöst, wodurch Jeans den gewünschten „Used“-Look erhalten. Damit entwickelte der Vorarlberger eine umweltfreundliche Alternative zu Kaliumpermanganat, dem typischen Einsatzmittel im Färbungsprozess. „Kaliumpermanganat ist unglaublich giftig“, so Schimper. „Aber wahnsinnig effizient und extrem günstig.“ Und aus diesem Grund auch so beliebt in der Industrie. „Wir mussten deshalb nicht nur ein Produkt kreieren, das umwelt- und menschenfreundlich ist, sondern die gleiche Leistung bringt und mit den Kosten mithalten kann“, erklärt der Chemiker die Anforderung. Bereits Ende 2015 schloss er den ersten Lizenzvertrag mit einem Chemiehersteller ab. 2017 nahm schließlich auch der Weltmarktführer die Lösung von Acticell ins Sortiment auf.
Es begann ... mit Spitzenunterwäsche
Dabei hatte Schimpers Forschung anfänglich gar nichts mit Jeans, sondern mit Reizwäsche zu tun. Der gebürtige Vorarlberger suchte am Institut für Textilindustrie in Innsbruck mit dem Institutsleiter Thomas Bechtold nach einer Methode, Ätzstickereien auf Reizwäsche ohne den Einsatz von aggressiver Chemie zu erzeugen. Es gelang. Da jedoch keine Firma für die Anwendung gefunden wurde, adaptierten die Chemiker das Verfahren für das Färben von Jeans. Gleich der erste Versuch ging auf und aus einer Idee wuchs ein richtiges Unternehmen: Schimper gründete 2014 Acticell und zog 2015 damit an den Technopol in Tulln. Drei unterschiedliche Möglichkeiten wurden mittlerweile hier in den Laborräumen entwickelt: ein Bleichmittel im klassischen Sinn, eines, das zusammen mit Ozon und eines, das zusammen mit den neuen Technologien in der Modeproduktion funktioniert. Letztere ist auch das Alleinstellungsmerkmal von Acticell: „Damit schlage ich zwei Fliegen mit einer Klatsche: Ich ersetze das Kaliumpermanganat und kann, indem ich zusätzlich die neuen Technologien verbessere, Kostenvorteile sichtbar machen. Mit diesem - an die neuen Technologien angepasstem - Konzept sind wir die Einzigen am Markt“, erklärt Schimper stolz.
Ab Herbst: Verbot für schädliche Chemie
Ein paar Millionen Jeans werden im Monat weltweit mit den umweltfreundlichen Mitteln von Acticell behandelt. Tendenz: Stark steigend, formuliert Schimper sein Ziel für 2020. In die Hände spielt ihm der Beschluss der ECHA (Europäische Chemikalienagentur), der den Einsatz von schädlicher Chemie in der Textilproduktion ab Oktober 2020 unterbindet.
„Nachhaltigkeit ist ein dehnbarer Begriff, aber die Industrie hat verstanden, wohin es gehen soll“, meint der Forscher. Große Jeansmarken haben ihren gesamten Designprozess umgestaltet, indem sie die Zulieferketten vereinfachen und giftige Chemikalien verbannen. „Das ist ein riesiger Umwälzungsprozess. Die Industrie ist sich der Notwendigkeit von nachhaltigem Handeln bewusst. Wenn der Gesetzgeber dann auch noch die gleichen Rahmenbedingungen schafft, dann können wir in kurzer Zeit viel umsetzen“, hofft Schimper, dass die unfreiwillig buntgefärbten Flüsse bald der Vergangenheit angehören.
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Dieser Beitrag wurde von der freien Journalistin Carina Rambauske verfasst, die im Auftrag von ecoplus mit Unternehmen und Unternehmerinnen in Niederösterreich – die sich im Bereich Nachhaltigkeit engagieren – gesprochen hat. Diese Best Practice Beispiele der NÖ Wirtschaft wurden besucht, interviewt und vor Ort Kurzvideos gedreht. Die Ansichten dieses Beitrages müssen nicht der Meinung von ecoplus entsprechen.