Getreide

Das war der Getreidetechnologietag 2022

Klimawandelbedingte Veränderungen sowie der vermehrte Wunsch von Konsumentinnen und Konsumenten nach gesunden und zugleich nachhaltig produzierten Lebensmitteln stellen die Backwarenbranche vor große Herausforderungen. Mögliche Lösungen liegen im Einsatz klimafreundlicher Körnerfrüchte und Leguminosen sowie in der Effizienzsteigerung durch Kreislaufwirtschaft und dem gezielten Einsatz digitaler Werkzeuge. Darüber diskutierten Expertinnen und Experten beim Getreidetechnologietag am 23. März an der FH Oberösterreich Campus Wels. 40 interessierte Unternehmensvertreterinnen und -vertreter waren der Einladung des Lebensmittel-Cluster Oberösterreich und des ecoplus Lebensmittel Cluster Niederösterreich sowie der HTL für Lebensmitteltechnologie Wels gefolgt.

Das Institut für Lebensmitteltechnologie und Ernährung der Fachhochschule Wels forscht unter anderem mit der schwarzen Soldatenfliege als Rohstofflieferanten. Ihre Larven liefern wertvolle Proteine und Öle. Studiengangsleiter Otmar Höglinger schilderte, wie gemeinsam mit der Insektianer GmbH aus dem Protein u.a. nachhaltiges Fisch- und Tierfutter hergestellt wird: „Auch das Öl ist vielseitig in der Kosmetik, Pharmaproduktion und Kraftstofferzeugung einsetzbar. Das Substrat wird zum hochwertigen Dünger. Gemeinsam forschen wir an der richtigen Nährstoffzusammensetzung.“ Als Futterquelle für die Larven dienen organische Reststoffe und Nebenprodukte wie Biomüll, Treber, Pilzmyzel oder Altbrot. So wird vermeintlicher Abfall im Kreislauf zu neuen Rohstoffen.

 

Effiziente Produktion

Auch das Reengineering von Prozessen in der Lebensmittelindustrie führt zu mehr Nachhaltigkeit. Höglinger berichtete von der Neugestaltung bestehender Prozessschritte in der Zuckerrübenverarbeitung mit Projektpartner Morgentau Biogemüse. Dabei wurden Produktionsschritte und Abfallströme deutlich reduziert. Das entstandene Zuckerrübenpüree und Zuckerrübenpulver ist vielseitig einsatzfähig, wie in Backversuchen und Verkostungen von Süßgebäck (Croissant, Kipferl, Brioche) gezeigt werden konnte.

 

Mit Körnerhirse dem Klimawandel begegnen

Die Universität für Bodenkultur (BOKU), Department für Lebensmitteltechnologie und die HTLLMT in Wels wird u.a. das Potential von Sorghum gegen Klimasorgen erforschen. Sorghum ist eine trocken- und hitzeresistente Getreideart, die in Österreich aufgrund der runden Kornform und der Verwendbarkeit als Körnerhirse bezeichnet wird. „Sorghum hat im Zeichen des Klimawandels großes Zukunftspotenzial. Für die Landwirtschaft liegen die Hektarerträge auf kargen sandigen Böden deutlich über dem des Weizens. Im FFG-Branchenprojekt ‚Klimatech‘ wurde die Mahlfähigkeit und Backfähigkeit bei Zumischung zu Weizenmehlen bestätigt. Besonders bei Feinbackwaren wurden Qualitäten erzielt, die hohen Ansprüchen gerecht werden“, betonte Alfred Mar stellvertretend für das Forschungsteam der BOKU. Weltweit betrachtet ist die Körnerhirse das am fünftmeisten produzierte Getreide. In Österreich soll sie den Weizen nicht verdrängen, sondern als ergänzende Zutat die gewohnten Teig- und Backeigenschaften erhalten.

 

Glutenfrei backen mit der Lupine

Über das ungeahnte Potenzial der Leguminose Lupine informierte Heinz Oberndorfer von der Welser HTL für Lebensmitteltechnologie. Die Lupine wurde früher auch „Wolfsblume“ genannt, weil man ihr bodennährstoffraubende Attribute nachsagte. „Doch eigentlich ist der Schmetterlingsblütler sogar ein Boden-Verbesserer, da dieser mit Hilfe von Knöllchenbakterien Luftstickstoff binden kann“, erläuterte Oberndorfer. Heute wird sie oft als „Sojabohne aus dem Mühlviertel“ bezeichnet, da sie einen ähnlich hohen Eiweißgehalt bei geringerem Fettanteil besitzt. „Dank intensiver Züchtung konnte der in den Lupinen vorkommende Alkaloid-Gehalt soweit reduziert werden, dass die Pflanze künftig für die menschliche Ernährung ein attraktiver Rohstoff sein kann“, ergänzte der Experte. Die HTL für Lebensmitteltechnologie knackte die Lupinenbohne, presste sie und verarbeitete sie zu Mehl. Beim Verkosten von glutenfreien Brownies aus Lupinenmehl konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Getreidetechnologietag vom Potenzial überzeugen.

 

Nachhaltiger Produktschutz

Die Nachhaltigkeit von Lebensmitteln und Verpackungen steht aktuell im Zentrum nationaler und internationaler Forschung. Victoria Krauter vom FH Campus Wien gab einen Einblick in das richtungsweisende internationale COST-Netzwerkprojekt CIRCUL-A-BILITY, das unter anderem die aktuelle Situation bei Cerealien und Süßwaren beleuchtet. „Eine nachhaltige Verpackung ist effektiv, effizient, zyklisch und sicher“, betonte die Forscherin. Ihre Empfehlungen: Bereitstellen von Verpackungen mit hohem Verbrauchernutzen, richtig dimensionierte Portionen und das Vermeiden unnötiger Verpackungen. „Auch die Materialwahl und das Verpackungsdesign sollten überdacht werden. Ich empfehle biobasierte und/oder biologisch abbaubaren Materialien sowie die Gestaltung von Verpackungen for Recycling und from Recycling“, ergänzte Krauter.

 

Optimierte Lieferkette durch digitale Routenplanung

Manuel Fasching von der FOTEC Forschungs- und Technologietransfer GmbH stellte zwei Apps vor, die im FFG DIHOST-Projekt „BonTour“ entwickelt wurden. „Wir konnten einen Prototyp für die digitale Routenplanung der fahrenden Bäckerinnen und Bäcker entwickeln. Die digitale Transformation von bestehenden Prozessen leistet künftig einen wichtigen Beitrag, um die Effizienz in der Auslieferung zu steigern“, ist Fasching überzeugt. Mit der App für den Produzenten können Bäckerinnen und Bäcker Verkaufstouren anlegen, den Touren die Fahrerinnen und Fahrer sowie Fahrzeuge zuweisen, den aktuellen Standort der Verkaufsfahrzeuge anzeigen, mit den Fahrerinnen und Fahrern Kontakt aufnehmen und erledigte Touren auswerten. Die Applikation für fahrende Verkäuferinnen und Verkäufer zeigt die Tour und jeden Stopp auf einer Karte an. Zu jedem Stopp werden zusätzliche Informationen eingeblendet wie z. B. nicht hupen, Vorsicht Hund oder beim Gartentor abstellen. Der Fahrer kann auch Zusatzinformationen zu einem Stopp hinzufügen. In Planung ist gerade eine App für die Kundin bzw. den Kunden.

 

Foodpreneurs geben Anregungen

Michael Beitl von Kern Tec stellte sein Geschäftsmodell vor. Obstkerne von Kirschen, Marillen und vielen anderen Kernobstsorten verarbeitet Kern Tec zu Öl, Mehl, Aufstrichen oder zum puren Produkt als nachhaltige Nussalternative. „Neben dem nussigen Geschmack erreichen wir so auch immense Wassereinsparungen wie etwa bei der Bewirtschaftung von Mandelbäumen und einen deutlich reduzierten CO2-Fußabdruck“, schilderte der Gründer. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kosteten sich durchs Sortiment. Sandra Flammer setzt mit ihrer Marke „Kornelia Urkorn“ auf alte Getreidesorten und bietet diese als Frischteig, Vollkornmehl und Reis an. „Wer auf Weizen verzichten möchte und auf bewusste und abwechslungsreiche Ernährung setzt, hat mit den Vorfahren unserer heutigen Getreidesorten - wie zum Beispiel Einkorn - eine echte Alternative“, sagte die Unternehmerin. In der Diskussion wurde klar, dass die genannten Urgetreidesorten noch zu den Nischenprodukten gehören, die Nachfrage bei mehr Aufklärung der Konsumentinnen und Konsumenten aber steigen könnte.

 

Über den Getreidetechnologietag

Die Direktorin der HTL für Lebensmitteltechnologie, Gisela Wenger-Oehn, fasste die Veranstaltung zusammen: „Der Getreidetechnologietag hat aufgrund der interessanten Vorträge und Präsentationen einen sehr guten Austausch in der Branche ermöglicht und zu spannenden Diskussionen angeregt. Ich denke, diese Veranstaltung vor Ort hat allen Beteiligten wieder sehr gutgetan. Künftige Projekte, Fragen und Antworten konnten im persönlichen Austausch direkt besprochen werden.“ Alle zwei Jahre stehen bei diesem Branchentreffen aktuelle und zukunftsträchtige Themen im Zentrum. Forschende und Praktikerinnen sowie Praktiker zeigen, wie in Zukunft unsere Lebensmittel wertschöpfend und nachhaltig vom Feld bis ins Körberl kommen. Moderne Verpackungen und Technologien, Start-ups und Produktideen spielen dabei genauso eine Rolle wie traditionelle und handwerkliche Techniken. Der Getreidetechnologietag ist eine Kooperationsveranstaltung des Lebensmittel-Clusters Oberösterreich, des ecoplus Lebensmittel Clusters Niederösterreich und der HTLLMT Wels. Der nächste Getreidetechnologietag findet 2024 statt.